In der „schönsten Botschaft Berlins“, wie Stefan Rizor bemerkte, trafen wir uns am 28. Mai zu dem in Kooperation mit der Kanadischen Botschaft veranstalteten Forum @ Kanada Haus 2024 unter dem Titel „Geopolitics, Trade, Traceability: Critical Links in the Global Supply Chain“. Das Forum als Traditionsformat der DKG fand – federführend organisiert von den DKG-Vorstandsmitgliedern Christina Arend, Robin Arens und Hannes Weiland – dieses Jahr das erste Mal seit der Pandemie statt und widmete sich dem für Kanada wie Deutschland virulenten Thema der (globalen) Lieferketten.
Ein großer Auftakt nach langer Pause
Im Grußwort von Botschafter John Horgan, in dem er die gemeinsamen Werte beider Länder und die langjährige gute Zusammenarbeit mit der DKG betonte, gab er auch ein Beispiel von Spannungen in Lieferketten guter Freunde durch Corona.
Kanada hatte schon immer die Papierbasis für die in den USA endgefertigten FFP2-Masken geliefert. Als nun nach dem Corona-Ausbruch Kanada Masken von den USA kaufen wollte, die die USA zuhauf gebunkert hatte, gab es zunächst ein protektionistisch klares Nein aus Washington. Nachdem Kanada dann aber seinem langjährigen größten Handelspartner deutlich gemacht hatte, dass der Rohstoff dieser Masken aus Kanada stammt (was ja nicht auf ewig so blieben müsse), war man sehr schnell bereit, Kanada mit vielen Masken zu beliefern, die Teil des PPE (personal protection equipments) geworden waren.
Erfolg ist ein Resultat guter Zusammenarbeit, betonte Horgan. Umso mehr wundere es ihn, dass Frankreich als einer der Gründungsstaaten Kanadas das CETA-Freihandelsabkommen noch nicht ratifiziert hat.
Im Gegensatz dazu lobte er die Investitionsbereitschaft der deutschen Industrie, die in den letzten 20 Monaten mehr in Kanada investiert hat als in den letzten 20 Jahren zuvor, davon allein 7 Milliarden kanadische Dollar von VW in eine neue Batteriefabrik in Ontario.
Für die DKG begrüße Vorstandsvorsitzender Stefan Rizor die Anwesenden und schilderte seine ersten Erfahrungen mit der Lieferkettenthematik aus seiner ganz frühen Anwaltstätigkeit, bevor er das Zepter an Moderator Alexander Thamm übergab, der das Publikum exzellent durch einen inhalts- und erkenntnisreichen Nachmittag führte.
Stehen die globalen Lieferketten vor dem Kollaps?
Sodann begann die erste von drei Konferenz-Sessions: Stehen die globalen Lieferketten vor dem Kollaps?
Den Impulsvortrag hielt Michael Windfuhr vom Deutschen Institut für
Menschenrechte. Er stellte klar, dass 80 Prozent des Handels über „inner and intra
corporate value chains“ laufen. Nach einem geschichtlichen Rückblick auf die
diversen UN-, WTO- und ILO-Abkommen kam er auf relevante Trends heutiger
Lieferketten zu sprechen:
Trends heutiger Lieferketten
- Slowbalization seit 2007/08
- Reshoring, um die Komplexität der Lieferketten zu reduzieren
- Resilient Globalization
Gleichzeitig kaufen allerdings auch „authoritarian competitors“ wie China und Russland Rohstoffquellen und -verarbeiter weltweit auf. Als Lösung bot er an:
- Human Rights Due Dilligence
- Revitalized Trade Negotiations
- Environmental Due Dilligence
- Address concerns of Developing Countries
Sven-Uwe Schulz von der DERA-Unit „Evaluation of Mineral Resources“ betonte aber, dass die Stimmung derzeit besser sei als die Lage. Denn noch immer kämen 80 Prozent aller Mineralien-Rohstoffe aus 15 Ländern, 50 Prozent der verarbeiteten aus China. Daran habe sich schon sehr lange nichts geändert. Bereits 2002 wurde China sogar vom größten Produzenten zum größten Abnehmer von verarbeiteten Mineralien weltweit.
Inzwischen wollen auch Chile, Argentinien und Bolivien als Lithiumlieferanten etwas vom Kuchen abhaben und fordern höhere Preise und eigene Produktionsanlagen. Die Sektorendialoge, die es nun in Deutschland gebe, sollten auch auf EU-Ebene geführt werden.
Auch Dr. Stormy-Annika Mildner vom Aspen Institute betonte, dass der globale Süden nun faire Lieferketten einfordere und ein Ende der Tariffication fordere, also, dass Rohmaterialien mit niedrigen, fertig verarbeitete Produkte aber mit hohen Zolltarifen versehen werden. Vielmehr brauche man vielseitige Abkommen, in denen auch die sozialen und ökologischen Fragen des globalen Südens berücksichtigt seien.
Es wurde aber auf Nachfrage, ob Staaten oder Unternehmen hier bei den Rohstoffgeschäften tätig sein sollten, klar konstatiert, dass sowohl in der ersten (2010) wie in der zweiten (2020) Rohmaterialstrategie der Bundesregierung klar formuliert ist, dass die Verantwortung dafür bei den Unternehmen liege. Allerdings wäre staatliche Hilfe nötig, wenn die Ungleichheiten allzu groß seinen wie bei den Staatsunternehmen z. B. aus China. Auch bräuchte es dann mehr eigene Produktion und Veredelung sowie eine ausgedehntere Kreislaufwirtschaft in Europa, um resilienter zu werden.
Wenn allerdings das Lohngefälle etwas angeglichen werde, wie z. B. nach der 40-Prozent-Lohnerhöhung im Textilsektor in Bangladesh, dürften nicht die auftraggebenden Konzerne, die zuvor die Lohnerhöhungen gefordert haben, sofort in andere Noch-Billiglohnländer abwandern.
„Friendshoring“ als Lösung, um die fragilen Verbindungen in der Lieferkette zu reparieren?
In der zweiten Session ging es darum, ob „Friendshoring“ die Lösung für die fragilen
Lieferketten darstellt.
Der Impuls kam hier von Dr. Urszula Nartowska, Senior Vice President Legal der Obi Group. Sie betonte, dass Obi 150.000 SKUs (Stock Keeping Units) führt, die alle nun in ihren Lieferketten transparent gemacht werden müssen dank des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG), welches die Einhaltung von Menschenrechten und die Vermeidung von Umweltrisiken als Ziel hat. Zu den Menschenrechten zählen auch Anti-Diskriminierung, Arbeitssicherheit und faire Bezahlung. Dass dies auch in Europa ein Thema sein kann, erfuhr die BAFA, die das LkSG überwacht, als Unterbezahlungen im spanischen Agrarsektor oder bei polnischen Lastwagenfahrern gemeldet wurden.
Der BDI bemängelte, dass mit dem LkSG die bürokratische Belastung und Nachweispflicht allein auf deutschen Unternehmen gelegen hätte, so dass kein Level Playing Field im Vergleich zu anderen Ländern bestanden habe. Nun ist jedoch die European Supply Chain Due Diligence Directive (SCDDD) vom des EU-Parlament beschlossen worden.
Aber wie soll man die Gesundheitsrisiken bei der Herstellung und Lieferung von 150.000 SKUs analysieren, wenn nach den 5-10.000 direkten Lieferanten auch noch etliche weitere Sublieferanten dieser Direktlieferanten folgen? Hier müssen detektivisch veranlagte Agenten tätig werden, entweder analog als Manpower oder digital (z. B. mit Sensoren und der Blockchain).
Auch sei der Begriff „substantial knowledge“ eines Verstoßes nicht im Gesetz definiert. Jeder wisse, dass es bestimmte Verstöße systembedingt in bestimmten Ländern und Branchen gebe: Ist das dann schon substantielles Wissen? Auch die Möglichkeit des Whistleblowings sei eine Frage des Vertrauens, ob dann dem jeweiligen Verstoß wirklich abgeholfen werde. Daher kämen viel mehr Meldungen aus Deutschland und EU, aber wenige aus Kanada oder Asien. Die Wirtschaftsführer seien ja für die Einhaltung der Menschenrechte, aber bitte mit gleichem Maßstab für alle.
In Deutschland verschickten nach Einführung des LkSG viele Großunternehmen ellenlange Fragebögen an ihre mittelständischen Lieferanten, was die BAFA dann verbat, nachdem die Adressaten sich massiv beschwert hatten. So war das ja gar nicht gemeint gewesen. Inzwischen bauen die Firmen diese Vorgaben in ihre Lieferantenverträge ein, auch wenn es hier noch keine einheitlichen Standards gibt.
Aber auch die Länder und Branchen in „high risk“ und „low risk“ aufzuteilen, ist nicht im Sinne des Gesetzes, da ja gerade der weltweite Durchsatz von Menschenrechten und Umweltstandards, eben auch in High Risk-Ländern, erfolgen sollte.
Eine Rückverlagerung ins eigene Land ist aber ein langwieriger Prozess, da erstmal eine Belegschaft mit den entsprechenden Fachkenntnissen und ein Zuliefersystem aufgebaut werden muss. Mit einem Fingerschnipp lässt sich eben das iPhone nicht von China in die USA rückverlagern, betonte Prof. Hoberg von der Kühne Logistics University. Anne Lauenroth vom BDI sagte, dass sie es lieber Diversifikation statt Friendshoring nennen würde, denn immerhin baut Apple gerade Produktionskapazitäten in Indien auf, was aber eher ein „China plus x“ sei als eine Abwanderung aus China.
Das kanadische Pendant zum LkSG beschränkt sich schon im Titel nur auf Zwangs- und Kinderarbeit, die es zu vermeiden gilt; ansonsten ähnelt es dem deutschen Gesetz. Unsere Freiheit des Denkens, der Religion und der Lebensführung überfrachten das deutsche Gesetz und sollten bei der Überarbeitung entfernt werden. In Billiglohnländern bleiben und die Verhältnisse dort verbessern sei besser, als alles
wieder zurückzuverlagern ins Mutterland.
Lieferkettenlösungen als neues Frühwarnsystem?
In Session 3 fragten sich die Panelisten, ob die diskutierten Lieferkettenlösungen ein
neues Frühwarnsystem drohender Lieferkettenrisiken seien.
Den Kurzvortrag hielt Matthias Rosengarten von der Optel Group aus Kanada, einem SaaS-Provider und Cloudanbieter.
Er bot als Lösung die konsequente Datenerfassung und -verarbeitung zu DPPs (digitale Produktpässe) an, um die Nachverfolgbarkeit (traceability) hinsichtlich CO2-Fußabdruck, Effizienz/Leistung und Compliance eines Produkts, Verfahrens oder einer ganzen Lieferkette darstellen zu können. Am Beispiel Kraft Heinz machte er die Komplexität dieses Ansatzes angesichts all der verschiedenen länderspezifischen ESG-Vorschriften deutlich.
Die Firma Achilles, die ihre Kunden aus Bergbau, Öl, Gas und Bauwirtschaft dabei berät, ESG-Risiken zu minimieren, betonte, dass Kanada erschreckend niedrige Gesundheitsstandards bei ihren Arbeitern in diesen Industrien habe, aber nun eine Ombudsperson besitze, die gemeldeten Verstößen beherzt nachginge. Das Druckmittel sind dann drohende Imageschäden und geschäftliche Einbußen, wenn
sich der jeweilige Verstoßende nicht einsichtig zeige.
Es wurde auch allseits betont, dass man die Entscheider erstmal erziehen müsse, die neuen Vorschriften zu leben. Nicht zuletzt auch den CFO, der spätestens bei der Taxonomie von der CSRD gehört haben sollte.
Forto, das deutsche Logistik-Scale-up, hat sich vom digitalen Spediteur zum umfassenden Anbieter von Supply-Chain-Lösungen entwickelt. Seine oft mittelständischen Kunden müssen erst in diese Komplexität moderner datengestützter Logistik hingeführt werden. Es gilt, von einer reaktiven hin zu einer vorhersagenden, proaktiven Logistik zu gelangen – auf Kunden- wie auf Lieferantenseite.
Mathias Bosse vom Logistik-VC Prequel Ventures betont, dass die Logistik inzwischen, nicht zuletzt seit Corona und den diversen Unfällen und Blockaden in den globalen Logistiklebensadern, im Topmanagement angekommen sei in Form des SCO (Supply Chain Officers), der die SC-Stacks auf die spezifischen Anforderungen des Unternehmens trimmen muss: Sensoren, Menschen, Arbeitsabläufe, IT.
2027 soll der DPP zunächst für Batterien eingeführt werden, obwohl die Anforderungen heute noch unklar sind. Die Absicht ist jedoch, für alle Produkte einen digitalen Zwilling zu schaffen und so die Spezifika aller Produkte digital übermitteln zu können.
Die Erziehung der relevanten Lieferkettenakteure wird als große Herausforderung angesehen, besonders, weil sich der Gesetzgeber gern neue Begriffe ausdenkt und die völlig neuen Anforderungen an neuartige logistische Tools erklärt und trainiert werden müssen, nachdem sie als Qualitätsstandards festgelegt und fit für die digitale Verarbeitung gemacht wurden.
Auch die Regulatoren haben die KI entdeckt und schaffen gern noch komplexere Regularien in dem Bewusstsein, dass deren Bearbeitung ja durch eine KI erfolgen kann. Dabei dürfen jedoch auch Plausibilitäten nicht außer Acht gelassen werden: Wenn ein Farmer zertifiziert ist, sein Nachbar mit demselben Feldertrag jedoch nicht, der Farmer aber plötzlich doppelt so viel zertifizierten Ernteertrag abliefert wie vorher, könnte es daran liegen, dass er den unzertifizierten Ertrag seines Nachbarn
mitverkauft hat.
In der EU sei ein Wechsel zu unternehmensfreundlicher Politik zu beobachten, der den Green Deal unterminiere, obwohl er ja durch die Mehrheit an konservativen, liberalen und sozialdemokratischen Parteien beschlossen worden war. Nun steht eine EU-Wahl an, aber die Podiumsteilnehmer befürchten nicht, dass sich ein Zurückrudern in ESG-feindliche Beschlüsse mehrheitlich im neuen Parlament zeigen
wird.
Dazu haben die Konzerne schon zu viel in die neue ESG-Ausrichtung, beflügelt auch von Umfragen, investiert. Was sie aber hassen, sind Spontanbeschlüsse der Politik,die Unternehmensentscheidungen die Berechenbarkeit nehmen, z. B. wenn Subventionen ganzer Branchen von heute auf morgen wegfallen, obwohl vorher massiv in deren Transformation hineinsubventioniert wurde (Solarpanels, E-
Mobilität).
Es wurde auch beklagt, dass politische Entscheidungen und Gesetze lange hinter gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen hinterherhinken und erst entschieden werde, wenn die Dinge zu eskalieren drohen (Bankenkrise, Umwelteskapaden, Menschenrechte) und die Gesellschaft nach Lösungen verlangt. Die Wissenschaft und kluge Berater haben es meist schon Jahrzehnte vorausgesagt
(Umweltrisiken, Pflegenotstand, Infrastrukturmängel), doch die Tagespolitik hat zu oft
weggeschaut oder Symbolpolitik betrieben.
Fazit: Gelungener Neustart
Im Anschluss an drei intensive Sessions waren die Sprecher, Panelists und Publikumsgäste zur Networking Reception geladen. Gelegenheit, die Eindrücke vom Nachmittag Revue passieren zu lassen und interessante Kontakte zu knüpfen. Das einhellige Feedback des Abends: Ein erfolgreicher Neustart des Forum @ Kanada Haus im Geiste des deutsch-kanadischen Austausches.
Autor: Thomas Andersen
Bilder: DKG/Arne Sattler