Nachlese zum Besuch von Papst Franziskus in Kanada im Juli 2022
In der folgenden Glosse kommentiert DKG Mitglied Dr. Bernhard Beutler den Besuch von Papst Franziskus in Kanada aus seiner Sicht:
Two Solitudes / Zwei Einsamkeiten ist ein bekanntes Werk des kanadischen Autors Hugh MacLennan, der 1945 die bis dato getrennten Welten Anglo- und Frankokanadas beschreibt. Zwei verschiedene Gesichter also.
Zwei verschiedene Gesichter zeigte jetzt auch Papst Franziskus auf seiner „Pilgerreise der Buße“, auf Betreiben der Indogenen und auf Einladung der kanadischen Regierung, um sich vor Ort für die Gräueltaten in katholischen Internaten („residential schools“) zu entschuldigen.
Die Bilder aus Alberta, Québec und Nunavut zeigten einen zuhörenden, ins Gebet versunkenen, gelegentlich auch mal verschmitzten Mann im Rollstuhl: eine auch ungeheure physische Leistung des hier stark psychisch geforderten Oberhirten. Die vielen Ansprachen mit etlichen Äußerungen von Scham und Schuld waren immer persönlich, privat, individuell; sie enthielten jedoch nie ein –von den Indogenen und auch von der kanadischen Regierung erwartetes– institutionelles Schuldbekenntnis des Oberhaupts der katholischen Kirche. Der Papst wiederholte mehrfach die Formulierung der Schuld „lokaler katholischer Institutionen“, die der römisch-katholischen Kirche als Gesamtinstitution vermied er. Zum Bedauern kanadischer Instanzen sprach er erst auf dem Rückflug vom „Genozid / Völkermord“ an den Indogenen, ohne Qualifizierung der Täter. Auch hier zwei Einsamkeiten – zwei Gesichter.
Der „Mann in Weiß“ lebte auf, wenn er sich einer vertrauten Zielgruppe gegenüber sah: vor dem Klerus bei der Vesper in der Kathedrale von Québec, wo er sogar die Schuld nicht weniger Katholiken an sexuellem Missbrauch einmalig benannte. Auch hier Kritik seitens der Indigenen, die den sexuellen Missbrauch auch ihrer Kinder explizit benannt haben wollten.
Die Reise endete im Norden, in Nunavut, mit einer Aufforderung an die – wenig vertretenen – Jugendlichen, nach Höherem zu streben und Teamgeist zu zeigen. Eine richtige Ansprache – geeignet für einen Weltjugendtag – hier aber am falschen Ort.
Klassisch und peinlich auf diversen Begegnungen mit den Indogenen: die Überzahl mit Schärpen dekorierter Bischöfe, die gelegentlich sogar die Plätze eingeladener Autochthoner blockierten.
Der Papst zeigte ein überzeugendes starkes, persönliches, offenbar einfühlsames, pastorales Auftreten – als oberster Verantwortlicher für eventuelle rechtliche Folgen eines Schuldeingeständnisses namens der Institution Gesamtkirche mit der Bitte um Vergebung blieb er jedoch schweigsam.
Sowohl Premier Trudeau wie die Generalgouverneurin Mary Simons sahen diese „Pilgereise“ des Papstes als Anfang eines längeren Prozesses der Versöhnung. Hier wird viel aufzuarbeiten sein (auch Freigabe der Archive, Rückgabe von Kunstwerken etc,) In den Worten Trudeaus: „ Es ist unsere Verantwortung, unsere Unterschiede nicht als Hindernis zu sehen, sondern als Gelegenheit, zu lernen, einander besser zu verstehen und zu handeln.“ Welche Schritte hier beide Seiten gehen wollen, blieb – noch – offen.
Die Generalgouverneurin Mary Simon (auf Französisch, Englisch und Inuktitut): “Heilung ist eine Reise, kein Ziel“.
„Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust…“, heißt es in Goethes Faust. Auch die Institution Gesamt-Kirche muss sich – im Dialog mit den Indogenen und den entsprechend mitbetroffenen Regierungen – entscheiden, wie sie bei ihren hohen sittlichen Ansprüchen mit Verbrechen ihrer Vergangenheit (und teilweise Gegenwart) glaubwürdig und zukunftsweisend umgeht: in Kanada, Deutschland, weltweit.
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