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Interview mit Frau Mirjam Leuze zum Film „The Whale and the Raven“ 

Kurz Synopsis: Sind Wale Individuen mit der Fähigkeit zur selbstwahrnehmung und Intelligenz? Janie Wray und Hermann Meuter sind fest davon überzeugt. In enger Zusammenarbeit mit der Gitga’at First Nation dokumentieren die beiden Walforscher das Verhalten von Orcas und Buckelwalen an der einsamen Westküste Kanadas. Doch dann entdeckt die Öl- und Gasindustrie die Region. Die stille Fjord-Landschaft soll in eine Tankerroute für den Transport von Flüssiggas (LNG) verwandelt werden. Mit intensiven Bildern taucht der Filmin die Welt der Wale ein und entführt den Zuschauer in ein einzigartiges Biotop.

Nach einer sehr gelungenen Premiere des Filmes im Cinenova in Köln-Ehrenfeld hatte ich die Möglichkeit, die Regisseurin zum Film zu interviewen. Zunächst nutze ich die Gelegenheit, ihr für diesen großartigen Film zu danken, denn er erzählt nicht nur die Geschichte der Walforschungsstation, unter Leitung von Janie Wray und Hermann Meuter, auf Gil Island, im Gebiet der Gitga’at First Nation im Westen Kanadas und den besonderen Menschen dort, sondern zeigt natürlich auch die atemberaubende Flora und Fauna, die es zu schützen gilt. Dies schafft Frau Leuze mit einer fast schon andächtigen Ruhe und ganz ohne Effekthascherei. Allein das erste Bild der Fjorde hat mich so berührt und an meine Zeit, die ich dank der DKG in Tofino auf Vancouver Island verbringen durfte, erinnert. Kein anderes Land, keine andere Natur hat mich bisher so tief getroffen und nachhaltig beeindruckt, mich mit meiner Endlichkeit versöhnt und mit einer ungeahnten Sehnsucht erfüllt wie die Natur Kanadas. Ähnlich immens ist die Wirkung dieses Dokumentarfilms, der ganz zurückgenommen und ohne zu verurteilen, dennoch intensiv Stellung bezieht und zwar für die Wale. Der Künstler Roy Henry Vickers, der Story Consultant des Projektes vor Ort, hat auch eine Galerie in Tofino und er habe zu Frau Leuze gesagt: „You truly cought the Westcoast.“ Dem kann ich nur zustimmen. 

©mirjamleuze

VK: Sie sagten auf der Premierenfeier, die Story habe in Ehrenfeld, am Küchentisch begonnen. Wie genau ging’s los und was war die Idee dabei? 

ML: Damals gab’s noch keine konkrete Idee, damals hab‘ ich einfach nur Hermann kennengelernt, denn er und mein jetziger Mann haben dort in einer WG zusammengewohnt und waren eben einige Jahre, bevor ich die beiden kennengelernt hab‘, zusammen auf Weltreise und sind den Walen hinterhergereist. Hermann Meuter erzählt es auch, wie er das erste Mal Orcas gesehen hat. Das war auf Vancouver Island. In Telegraph Cove haben sie sich ein Kayak gemietet und haben dort Orcas gesehen und das war für ihn der Moment, in dem er gesagt hat: „Ich möchte mein Leben den Walen widmen.“ […] Paul Spong vom Orcalab auf Vancouver Island hat Hermann akzeptiert, obwohl er keine Meeresbiologie studiert hat, sondern nur ein abgebrochenes Sportstudium hatte. Dann hat Hermann dort, ich glaube 1993 angefangen, als Assistent. Als ich ihn dann kennengelernt hab, das war dann 1997, in dieser Küche in Ehrenfeld, da war er schon am Hin- und Herpendeln. Er hat dann immer Sommerjobs gemacht, um Geld zu verdienen und war dann den Rest des Jahres bei Paul Spong. So habe ich Hermann kennengelernt und damals gab’s noch keine Idee, einen Film über ihn zu machen, damals habe ich noch gar keine Filme gemacht, 1997. Aber, ich war vom ersten Moment an fasziniert von dieser Entschlossenheit, von dieser Dedication eines Menschen, der sagt: „Das ist mein Weg, ich möchte nichts anderes machen in meinem Leben, als mich mit Walen beschäftigen und mich um deren Schutz kümmern.“ So fing das also alles an. Und dann 2002 hat Hermann mit seiner [damaligen] Partnerin Janie Wray, die er auch beim Orcalab kennengelernt hat, beschlossen, dass sie eine eigene Walforschungsstation aufbauen wollen, in einem Gebiet, wo es nicht so viel Unterwasserlärm gibt. Dann haben sie diesen Spot gefunden. Der Chief der Gytga’at First Nation, Johnny Clifton, das erzählt Hermann ja auch so ein bisschen, hat ihnen gesagt: „Dort ist ein guter Platz auf der Insel, dort könnt ihr euer Vorhaben realisieren.“ Und dann sind wir als eine Gruppe von Freunden, dorthin geflogen und haben Hermann geholfen, dort ein Haus zu bauen, weil das ja nicht so einfach ist, wenn der nächste Baumarkt fünf Bootstunden entfernt ist. So fing das alles an, 2002 war ich dann da das erste Mal selber und da hatte ich immer noch nicht die Idee, einen Film darüber zu machen. Das fing dann eigentlich erst an, als klar war, dass dieses Enbridge Pipelineprojekt, das Ölsand aus Alberta an die Küste transportieren sollte und dann mit Tankern durch dieses Fjordsystem nach Asien. Als das dann anfing, ein großes Thema zu werden, habe ich angefangen, darüber nachzudenken, einen Film darüber zu machen, also 2008 rum. 

VK: Wie lange haben sie alles in allem an diesem Projekt gearbeitet? 

ML: Ich habe 2008 mein Exposé, eine Seite, geschrieben, hab‘ das aber nie zu irgendwelchen Redaktionen hingeschickt. Aber ich hatte es in der Schublade, hatte mich ein bisschen intensiver mit beschäftigt, mit Ölsand und dieser Tankerlinie und dann habe ich das privat verfolgt, was da abgeht, immer wieder mit Hermann gesprochen und mit Janie und so mitbekommen, wie sehr die involviert sind und hab‘ aber erst wieder angefangen, darüber nachzudenken Ende 2014. Als mein erster Film auf der Berlinale lief, gab es dann für alle Teilnehmenden dieser Sektion Perspektive Deutsches Kino die Aufforderung oder die Möglichkeit,sich für ein Stipendium zu bewerben, wo man ein neues Projekt entwickeln konnte. Und da hat die Sektionsleiterin […] allen immer wieder Reminder geschickt und gesagt: „Hast du ein neues Thema? Wie sieht’s aus? Was ist deine Idee? Lass und telefonieren,“ und so hat sie mich dahin gepushed, dieses Thema wieder aus der Schublade zu holen und hat mich ermutigt und gesagt, das sei ein ganz tolles Thema, die Verbindung von Ölindustrie und Walen, das habe sie so noch nie gesehen und dann habe ich Ende 2014 angefangen, mich hinzusetzten um mich um das Stipendium, den Glashüttenpreis, zu bewerben. Das haben wir dann nicht bekommen, aber dadurch hatte ich dann einen 15-seitigen Text, mit Bildern, schön aufbereitet, den ich dann auch an Redaktionen schicken konnte und dann hab‘ ich das an ZDF Arte geschickt, an die Redakteurin Sabine Bubeck-Paaz, die das Thema direkt toll fand und dann ging das los, mit Förderanträge stellen und 2015 und 2016 haben wir uns quasi nur damit befasst, Förderanträge zu stellen, Exposés zu schreiben, weil, um die größeren Summen zu bekommen, da ist das wie eine Magisterarbeit, die man dann abgeben muss, das ist sehr viel, sehr zeitintensiv, sehr aufwendig, solche Anträge zu stellen, so dass man sagen kann, von Ende 2014 bis jetzt ist auch Herbst 2019, also fünf Jahre, habe ich an diesem Projekt gearbeitet. Aber ich habe natürlich zwischendurch auch andere Jobs gemacht. Ich gebe Workshops in Kameraarbeit und in Participatory Video. Das hab‘ ich zwischendurch natürlich auch gemacht, weil von einem Dokumentarfilmprojekt, das ist viel zu schlecht bezahlt, da kann man echt nicht von leben. Das ist schon eine Leidenschaft und weniger etwas, was man tut, um sein Geld zu verdienen. 

VK: Wie lange haben die Dreharbeiten dann gedauert, sie sagten ja, sie haben allein 16 Monate vor Ort verhandelt, um drehen zu können?

ML: Ich war im Januar 2016 das erste Mal für einen Recherchedreh da, dann nochmal im Mai. Ich war für die Recherche, während der ich auch schon gedreht habe, insgesamt acht Wochen vor Ort, 2016 und habe dort auch diesen Prozess angestoßen, uns mit einem Vertreter der Gytg’at First Nation zusammenzusetzten und zu überlegen, wie sowas aussehen kann und wie man einen Antrag an den Gemeinderat vorbereitet, dass sie das dann auch akzeptieren. Das hat von Januar 2016 bis zum wirklichen Drehbeginn, der Ende April 2017 war, gedauert. Die richtige Drehzeit war dann vom 1. Mai 2017 bis zum 02. November 2017, nicht durchgängig, also zwei Mal drei Monate war ich vor Ort, 2017. Und dann kamen eben wechselnde Kamerateams dazu. Das heißt, das erste Kamerateam war 10 Tage da, die haben diese Nature Beautyshots gedreht und dann kam im Herbst der Drohnenkameramann, der Unterwasserkameramann und dann nochmal ein dritter Kameramann, der auch nochmal Nature Beautyshots gemacht hat und alle Handlungen der Menschen habe ich abgedeckt, mit meiner Kamera. 

VK: Wie viele Positionen haben Sie bei der Produktion des Filmes eingenommen? 

ML: Ich hatte eine Doppelrolle als Regisseurin und Kamerafrau, das nennt man dann auch Autorenfilmerin, also die gleichzeitig auch Kamera macht. Aber ich musste natürlich gleichzeitig auch Regie machen, für die anderen Kamerateams. Das war in der Tat wahnsinnig schwer und unglaublich anstrengend und ich hatte, zum Glück, in der zweiten Drehphase einen Regieassistenten, den Stephan Bernades und wenn ich den nicht gehabt hätte, dann hätte das so auch alles nicht geklappt, weil man sich ja nicht in zwei Teile teilen kann. Er hat dann auch ganz viel Regiearbeit übernommen für die anderen Teams und wir haben uns dann immer morgens besprochen und dann teilweise auch aufgeteilt. 

VK: Sie sprachen von intellektuellem Bergbau, den sie bei den Dreharbeiten unternommen haben, können sie mir das nochmal erläutern? 

ML: Also es gibt in ganz Kanada eine ganz große Diskussion über Kolonialismus und über den Umgang mit First Nations und was da passiert ist […]. In diesem Zusammenhang gibt es auch eine große Debatte, inwieweit man Geschichten erzählen darf von First Nations. Ob es legitim ist, es zu tun, als weiße Regisseurin. Es gibt eine Journalistin, die heißt Jessy Housty, die ist Angehörige der Heiltsuk Nation an der Westküste, das ist ein bisschen weiter südlich und die hat einen ganz tollen Artikel geschrieben, der heißt: „I’m Not the Indian You Had in Mind“ […] und da schreibt sie etwas zum Verhalten von weißen Teams, also weiß im Sinne von Eurokanadiern oder Ausländern, so wie ich, in First Nation Kontexten. Es sind neun Punkte, die sie hat. Es ist ein sehr wütender, emotional geschriebener Artikel, den ich aber sehr gut finde, der auch für mich sehr wichtig war, wegweisend war in meinem Verhalten vor Ort. Sie sagt eben: „Ihr müsst euch klar sein, wenn ihr in eine First Nation Community rein geht und Geschichten hören wollt, Leute befragt, dass wir einen eigenen Kodex haben im Umgang mit Geschichten. Jede Geschichte hat einen Owner (Besitzer) und ihr müsst die Leute fragen, ob ihr diese Geschichte benutzen dürft und ihr müsst das transparent machen, woher eine Geschichte kommt.“ Sie bezieht sich da natürlich auf Mythen, wie die Orca Chief Geschichte, die wir im Film haben, aber auch auf Informationen, die man so irgendwie bekommt. Journalistisches Arbeiten oder Filme zu machen, das ist, wie sie sagt: „It’s like mining“, und dafür müsse man eine Gegenleistung erbringen und wo sie auch sagt: „Überlegt euch, was ihr als Gegenleistung reinbringt als Team. Bringt ihr Arbeitsmöglichkeiten mit? Bezahlt ihr vielleicht auch Geld als eine Form von Respekterweisung, dass man in diesem Gebiet drehen kann?“, und all‘ solche Sachen. Darauf habe ich mich bezogen und das haben wir in diesen Vertrag tatsächlich auch versucht gut zu machen, dass wir versucht haben, transparent zu sein: Was für eine Geschichte wollen wir erzählen? Das haben wir im Vorfeld besprochen, immer wieder Updates gegeben, es gab dann zwei Leute aus Hartley Bay, die da immer wieder involviert waren und die auch ihre Meinung dazu abgegeben haben. Wir haben der First Nation auch Geld gezahlt, dafür dass wir in deren Gebiet drehen dürfen und haben auch Arbeitsplätze versucht zu schaffen, für eine Kameraassistenz. Wir haben einfach versucht, da anders ranzugehen als andere Teams, die kommen, drehen, abreisen und keiner weiß, was die aus dem Material machen, weil, es gibt kein Gesetz, das ein Filmteam dazu zwingt, sowas zu machen, so einen Vertrag auszuhandeln. Allerdings, habe ich eben einen Film gemacht, wo klar war, ich muss mich gut verhalten, weil meine zwei Hauptprotagonisten dort forschen. 

VK: Viel Information wird im Film über Texttafeln vermittelt. War von Anfang an klar, dass es keinen Erzähler geben wird?

ML: Nein, das war nicht von Anfang an klar. Es gab tatsächlich zwei unterschiedliche Vorstellungen. Es waren ja zwei Redakteurinnen, Sabine Bubeck-Paaz, von ZDF Arte und Shirley Vercruysse, vom National Filmboard of Canada und das National Filmboard arbeitet normalerweise nur mit kanadischen Regisseurinnen und Regisseuren und mit kanadischen Teams und Shirley hat da eine Ausnahme gemacht, hat gesagt: „Dein Zugang zu diesen beiden Walforschern und auch dein Zugang in diese Region, der ist so einzigartig, diese Geschichte kann niemand anderes so erzählen, wie du das kannst.“ Deswegen war das schon mal ein Risiko, dass sie mich da als Regisseurin mit reingeholt hat und sie hat dann gesagt: „Wenn da jetzt noch ein eigener Kommentar dazukommt, das ist zu viel Einfärbung und zu viel Einfluss von einer Regisseurin, die von außen kommt.“ Sie wollte das auf gar keinen Fall, dass da ein Kommentar mit dazukommt, so dass wir uns am Ende dafür entschieden haben, es ohne Kommentar zu versuchen und es wäre natürlich an manchen Strecken viel leichter gewesen, wenn man was hätte erzählen können, aber das war das Argument, was ich auch nachvollziehen kann.

VK: Was nehmen Sie persönlich aus dieser Zeit mit, was hat dieser Film oder diese Dreharbeiten mit Ihnen gemacht? 

ML: Also, es hat wirklich mein Verständnis von Tieren grundlegend verändert. Unser Filmpate ist Dr. Karsten Brensing, ein Buchautor, ein Verhaltensautor, der diese Initiative Indivituals Rights Initiative gegründet hat. Der sagt: „Wir brauchen eine dritte juristische Persönlichkeit in unserem Rechtssystem, um die Rechte von Tieren auch juristisch einklagen zu können.“ […] Diese Perspektive zu sagen: Wale und alle anderen Tiere -ist die Frage wo man da die Grenze setzt. […] Es gibt ganz viele Tierarten, die eben intelligent und begabt sind- als eigenständige Persönlichkeiten anzuschauen, mit Gefühlen und mit Intelligenz ausgestattet, auch mit Rechten, die wir Menschen einfach immer in die zweite Reihe stellen. Wir Menschen sind immer die wichtigste Spezies auf der Welt, von unserer Perspektive aus. Das hat sich verändert, ich gucke heutzutage eine Krähe, die in Ehrenfeld irgendwas pickt, auf der Straße, wirklich mit Respekt an, weil ich weiß, das ist eine der intelligentesten Tierarten. Krähen gehören ja auch zur Familie der Raben, die sind hochintelligente Vögel und ich schaue sie mit ganz großem Respekt und Freundlichkeit an und denke nicht: „Ah, schon wieder so’ ne blöde Krähe.“ Ich bin vor zwei Tagen mit Hermann Meuter, nach der Premiere in Köln, am Küchentisch gesessen und wir haben gefrühstückt, in besagter Küche, in der ich ihn auch kennengelernt habe und da kam eine Biene reingeflogen und hat […] gekreist und geguckt, was es da für sie interessantes wohl gibt und die Art und Weise, wie Hermann Meuter diese Biene begrüßt hat, er hat gesagt: „Ja, hallo, was willst du denn hier? Du findest das hier auch, anscheinend gibt’s hier was zu essen für dich.“ Also, mit einer, klar halb im Spaß, aber auch nochmal tatsächlich, mit einer Freundlichkeit und mit einer Fokussierung auf ein anderes Wesen, das auch eine Existenzberechtigung hat und das nehme ich aus dem Film, aus dieser Filmarbeit von den Walen mit und das möchte ich auch als Botschaft in die Welt bringen. 

VK: Ich glaube das ist Ihnen mit diesem Film gelungen. Vielen Dank für das nette Gespräch. 

Am Abend der Premierenfeier in Köln gab es noch die gute Nachricht, dass „The Whale and the Raven“ auch in Kanada laufen wird. 

©Valerie Kreß

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