Unser geschätztes DKG -Mitglied Bernhard Beutler aus München, teilt mit uns seine persönlichen Eindrücke der Frankfurter Buchmesse 2021.
Nostalgie in leeren Hallen
Aus Notizen vom Kurzbesuch der Frankfurter Buchmesse
Geplant für 2020, war Kanada Coronabedingt nun erst ein Jahr später Gastland der Frankfurter Buchmesse – unter dem Motto: Re-Connect. Medien, die Frankfurter Messe und die Verantwortlichen aus Kanada und Québec verkünden den Erfolg des interkulturellen Austauschs auf virtuellen oder auch realen Veranstaltungen, Podiumsdiskussionen etc. Ca. 60 Autoren/-innen aus Kanada waren virtuell mit Frankfurt verbunden, 9 persönlich anwesend.
Anreise im frankophonen Flair des TGV, mit Le Monde auf dem Platz. Ich war für 24 Stunden auf der Suche nach alten oder neuen Begegnungen aus Kanada und Québec, unserer jahrelangen Wahlheimat. Doch der Erste, der uns begegnete, war „Ignatz“, ein Sturmtief, das gerade über Deutschland zog.
Es beeinflusste sicher bereits die abendliche Eröffnung von LOOP, „einer interaktiven Kunstinstallation für den öffentlichen Raum, inspiriert von literarischen Werken aus Québec“, auf dem Rathenauplatz. 12 Loops veranschaulichten, wenn in Bewegung gesetzt, 12 literarische Werke.
Der Platz dahinter: Goethe und Gutenberg in einsamem Dunkel, Sturmwolken zogen auf; der Asphalt schon halb-nass. Wenige Leute; meist unter sich bekannte Gruppierungen, Künstler aus Québec, VIPs aus Deutschland. Wir nahmen Platz in einem der Loops, ohne die dann in der Rundung rotierende indigene Story durch Schwingen des Hebels besonders zu beanspruchen. Erinnerung an die „laterna magica“ in der Kindheit. – Die Eröffnungsreden namens der Stadt und Québecs trotzten dem Wind und den Tücken des Mikrofons. Dennoch informative Erläuterungen des künstlerischen Leiters von „Ekumen“ , Olivier Girouard, und der Autorin Catherine Mavrikakis.
Kurz noch Gelegenheit zum freundlichen Austausch mit uns bekannten Vertretern Québecs. Begegnung mit dem bücherbeladenen Münchner Übersetzer und Herausgeber Michael von Killisch-Horn, gerade wieder bekannt geworden durch seine Anthologie neuer Literatur aus Québec in „die horen“. Auch autochthone Autoren/Autorinnen kommen darin vor, entsprechend der derzeitigen Aufarbeitung des Lebens mit den indigenen Völkern in Kanada.
Zum Aufwärmen ins nahe Café Hauptwache: doch die Frankfurter Spezialität, „grüne Soße“ , würde bei jeder ZDF-„Küchenschlacht“ durchfallen.
Im Hotel Einklicken in den 2. Teil der „Canada Night“ (im Handy) aus der Festhalle des Messegeländes. Dieser Abend, wie schon der offizielle Eröffnungsabend, tags zuvor, zu dem bereits auch die neue Generalgouverneurin Kanadas, Mary May Simons, angereist war, selbst indigener Abstammung aus Nord-Québec, waren geprägt von musikalischen und tänzerischen Darbietungen autochthon-indigener Künstler bzw. Autoren: eine für viele neue, unbekannte Welt. Dass eine Kultur von Tausenden von Jahren und 70 eigener Sprachen endlich zutage kommt, ist zu begrüßen. Unfassbar und die Welt erschütternd natürlich auch der Anlass intensiver jüngster Debatten: die Entdeckung vieler Kindergräber aus sogenannten „residences“- meist katholischen Kinderheimen – über Jahrzehnte hinweg. „Reconciliation is a way of life“, postuliert die Generalgouverneurin am Eröffnungsabend. Der Papst kündigt seinen Besuch in Kanada an… die Autochthonen erwarten eine Entschuldigung der römischen Kirche.-
Dennoch fragt man sich, wie repräsentativ bei dem Motto Singular Plurality die starke Akzentuierung auf indigene/autochthone Literatur bei den Großveranstaltungen der Messe für die Gesamtliteratur Kanadas ist. Und: wie repräsentativ ist die hinduistisch geprägte Transgender-Autorin-Sängerin Vivek Shraya an einer solchen „Canada Night“, außer, dass das schrill-witzige Auftreten der facettenreichen Künstlerin natürlich Aufmerksamkeit der 500 Gäste in der Festhalle auf sich zieht?
Am Eröffnungsabend hatte Shraya in der Pluralität menschlicher Identitäten bereits zu einer morgendlichen Frage angeregt:
„ Nicht, was mache ich heute? – sondern‚ wer will ich heute sein? “
Im Übrigen: Kanadas große Schriftstellerin Margaret Atwood (u.a. Der Report der Magd), sollte aus Toronto per Video zugeschaltet werden. Da kam es an diesem Kanada-Abend offenbar zu technischen Pannen.-
Sehr informativ einige Diskussionsrunden, u.a. mit Michel Jean (Roman Kukum, über seine Urgroßmutter);
Sexualität“, sei aber auch ein Thema des Abends, betont die Autorin Catherine Mavrikakis (u.a. Der Himmel über Bay City) , im Gespräch mit Michael Crummey (Sweetland, Die Unschuldigen), der seinen neuen Roman über Inzest erläutert.
Am nächsten Tag Besuch der Messehallen und Corona-Schock: eine riesige Halle, mit vielen Abtrennungsbändern für getrennte Wartereihen…gähnend leer. Impfpasskontrolle, Ausweiskontrolle; den QR Code des nur online erhältlichen Tages-Tickets prüfte niemand.
In Halle 3 die deutschen Verleger, damit besonders die, die auch kanadische Literatur in Übersetzung darbieten. Wiedersehen mit belesenen Verlagsfreunden wie Christian Döring von der „Anderen Bibliothek“ und Ingo Drzecnik vom Elfenbeinverlag (siehe Louis Dudek: For you, you – Für Dich ,Dir – hrsg. von Bernhard Beutler). Ihm gegenüber der Verleger des Mitteldeutschen Verlages, Roman Pliske, der auf besondere Akzentuierung kanadischer Literatur in seinem Haus hinweist. Langes Gespräch über den deutsch-kanadischen Schriftsteller Walter Bauer, Toronto (dem ich in meiner Studentenzeit dort begegnen durfte): eine Gesamtausgabe ist vom Verlag geplant.
Die Verleger haben an diesem Tag (Zugang nur für Journalisten und Fachpublikum) Zeit und genießen diese zum gegenseitigen Austausch, bevor die Publikumstage beginnen.-
Der Gang auf die Terrasse erlaubt das Abnehmen der Maske. Im Sonnenloch zeigen sich die von „Ignatz“ stürmisch eroberten Fahnen Deutschlands, Europas und Kanadas schon etwas zerfetzt.
Die kanadischen und andere ausländische Verlage sind für die Halle 6.0. angezeigt. Schon der Blick von der Rolltreppe zeigt einen fast menschenleeren Raum. Einzelne Verantwortliche sitzen lesend an einigen Ständen; die meisten kanadischen Stände sind unbesetzt.
Es wird deutlich, dass die wesentlichen Gespräche, Verhandlungen, Präsentationen auch in diesem Jahr noch primär virtuell ablaufen. Der Gang durch die Messehallen zeigt nur zarte Ansätze zu einem post-Corona Neubeginn.
Wunderschöner Abschluss vorm Ausgang: der Kanada-Pavillon im “Forum“ (wo immerhin auch ein Bücherstand mit Verkauf untergebracht ist). Hier lebt Heraklits „Alles fließt“ . Die dunkle Halle erleuchtet durch diverse Wasserwelten. Virtuelle Begrüßungsworte diverser mehr oder minder prominenter Kanadier bzw. Autoren*innen hinter einer Spiegelwand (Interaktion Betrachter mit jeweiligem Darsteller). Zur meditativ wirkenden Musik findet hier primär digital ein Farbenspiel statt. Auf touristische “gimmicks“ hat man total verzichtet. Dieser Pavillon allein lohnte längeres Verweilen.
Am Abend: „Ignatz“ annullierte unseren ICE nach Haus. Im späteren Ersatzzug ging der Lok auf der Geislinger Steige die Puste aus; ein tragischer „Personenschaden“ in einem Zug vor uns führte anschließend zu mehrstündigem Halt in Ulm…Ankunft in München nachts um 2h… nach 8 Stunden Bahnfahrt Frankfurt – München mit der FFP 2 – Maske.
Fazit: Dann können wir auch die Maske im 8 – Stunden – Flug nach Kanada
er-tragen! Die DB – „Generalprobe“ hat es erwiesen.
Ein Hoffnungsschimmer!-
Bernhard Beutler
(Kanadist, Publizist, lebte lange in Kanada)